Wahrheit vs. Lüge
Mit einer umgeschulten Händigkeit zu leben, heißt immer, eine Lüge zu leben. Egal, wie bequem wir es uns mit dieser Lüge eingerichtet haben. Und ich kann sehr gut verstehen, dass dieses (sich selbst) Betrügen und das Verstecken hinter der Lüge eine Art zu leben ist, die viele umgeschulte Linkshänder (ULH) wählen.
Manche wählen es unbewusst. Wissen nichts von ihrer wahren Identität und Händigkeit, wollen es vielleicht nicht wissen oder glauben in ihrem tiefsten Inneren nicht daran, etwas anderes verdient zu haben.
Manche wählen es bewusst. Am Anfang meiner Rückschulung war ich sehr erstaunt, als ich einige Leute auf ihren umgeschulten Zustand angesprochen habe (in Rückschulung befindliche Linkshänder haben die Angewohntheit, den Handgebrauch anderer Menschen zu bemerken, ob sie es wollen oder nicht) und die Antwort erhalten habe: „Ja, ich weiß. Na und?“
Sie haben es sich eben mit der Lüge eingerichtet. Wie Menschen, die in einer unzufriedenstellenden Beziehung bleiben, weil sie es nicht ertragen können, alleine zu sein. Die Ungewissheit, die daraus resultiert, ist zu schmerzhaft. Es folgen Veränderungen und Zweifel, und von beidem hat ein ULH auch ohne den riesig erscheinenden Schritt „Rückschulung“ mehr als genug.
Sich selbst auf die linke Hand ‚zurück’ oder besser gesagt neu zu besinnen, ist tatsächlich eine große Sache. Man fühlt sich wie ein Kind, man hat Angst, dass andere etwas bemerken. Das sowieso schon schwach ausgeprägte Selbstbewusstsein schleudert einem alle Zweifel entgegen, mit denen es aufkommen kann. Wer durch diesen Prozess hindurch geht, wird zum ersten Mal in seinem Leben merken, was es heißt, sich selbst treu zu sein. So schwer das auch ist, irgendwann ist man stolz auf sich. Und man kann gar nicht mehr zurück, fragt sich, wie man es überhaupt so lange mit der Lüge ausgehalten hat.
Als ULH ist es leicht, Unzufriedenheit zu akzeptieren und sich einzureden, irgendwann findet man schon etwas, was einen erlöst (Traumprinz oder Prinzessin, unerwarteter Reichtum, etc). Man hat immer das Gefühl, irgendwas muss das Leben doch noch für mich bereit haben. Das stimmt. Mehr noch, das Leben hält es dir unter die Nase. Nur annehmen, das kann dem ULH (und allen anderen) niemand abnehmen.